Kommentar der PARITER|fortis zum Green Deal der EU
- 27. Januar 2020
- Veröffentlicht durch: Ferenc von Kacsóh
- Kategorie: Allgemein, Bankenwesen, Consulting, Fachbeitrag, FamilyOffice, Stiftungen, Trusted Advisory
„Beim Erneuern des Alt-Bewährten müssen wir selbst mit anpacken“
Am 12. Dezember 2019 kritisierte Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB, in der „Wirtschaftswoche“ den Green Deal der Europäischen Union (EU) heftig. Konzipiert wurde der Green Deal von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EZB-Chefin Christine Lagarde. Kern von Issings Kritik war, dass es der EZB an demokratischer Legitimation für derart tiefgreifende Interventionen in die Volkswirtschaften Europas fehlte und ihre Unabhängigkeit untergrabe.
Mit großem Interesse haben wir die Diskussion um den Green Deal der neuen EU-Kommission und der EZB verfolgt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ja bereits früh signalisiert, dass sie die EZB zu einer Umweltbank umformen wolle. In der ehemaligen französischen Finanzministerin und früheren IWF-Chefin Christine Lagarde fand sie eine Verbündete.
Wenn man der reinen Lehre der Volkswirtschaft anhinge, wie wir sie bisher kannten und das Wirken der Notenbanken von der Politik völlig abkoppelte, dann könnte man Issing durchaus recht geben. Doch das ist im heutigen Umfeld viel zu kurz gesprungen und zudem eindimensionales, altes Denken. Denn die heutige Welt verlangt nach vernetzten und mehrdimensionalen Lösungsstrategien.
Frei nach Paul Watzlawicks erstem Axiom der Kommunikation „man kann nicht nicht kommunizieren“ kann man auch „nicht nicht politisch sein“, wenn man sich mit Währungsstabilität befasst. Denn alles, was Währungspolitik ist, beeinflusst auch Gesellschaft und Wirtschaft – und umgekehrt. Wenn die Kernaufgabe der Notenbanken also darin liegt, Währungsstabilität sicherzustellen, muss sie in diesem Netz wechselseitiger Abhängigkeiten verantwortungsvoll agieren und dieses selbst stabilisieren. Dabei gilt die Erkenntnis vieler Marktteilnehmer, dass die vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten, wie sie die ökonomische Standardlehre postuliert, nicht mehr zu existieren scheinen. Man denke nur an die Instrumente der Wechselkurspolitik oder die schmelzende Zinsmarge. Die EZB hat durch Nullzins und Anleiheaufkäufe längst alle ihre Möglichkeiten ausgespielt.
Auch hat es die EZB bis jetzt versäumt, neue, in die Zukunft gerichtete Lösungen zu erarbeiten. Ihr Sich-Verschanzen im Altbekannten bringt wenig mit Inventionscharakter zu Tage. Eine grüne Geldpolitik hingegen hätte einen solchen Charakter, ohne diesen es in Zukunft eine Währungsstabilität gar nicht mehr geben können wird. Dabei sind natürlich Innovationen, also im engeren Sinne die Erneuerung des Bewährten, wie beispielsweise das Einbringen von ESG- und Ethik-Filtern in den Anlageentscheidungsprozess, zu begrüßen. Vom vernetzten Zusammenwirken der Kräfte ist man damit aber noch weit entfernt.
Viele Bürger, insbesondere die junge Generation der zukünftigen Vermögensnachfolger und Verantwortungsträger, sind da schon wesentlich weiter. Sie verlangen durchaus nach neuen Möglichkeiten, nachhaltig investieren zu können. Dabei sind sie auch offen dafür, den Preis dafür zu bezahlen, etwa in der Form, dass die Rendite ihres Investments nicht mehr nur in rein monetärer Form an sie zurückfließt. Das bildet exakt das ab, was wir in unserem Interview Mitte November 2019 als transformatives Kapital bezeichnet haben: profit beyond profit.
Allerdings fehlt es dafür noch immer an echten Vernetzungen und Schnittstellen. Die Finanzwelt versucht stattdessen noch immer, ihre Misere mit denselben Mitteln zu lösen, die diese erst verursacht hat. Albert Einstein hat das einst als „die reinste Form des Wahnsinns“ bezeichnet.
Ähnliches gilt bislang auch für den durch von der Leyen und Lagarde vorgestellten Green Deal, der leider nicht viel mehr ist als das weitere Fluten der Märkte mit Kapital für „nachhaltig agierende“ Staaten? Unternehmen? Banken? Ja, was denn eigentlich? Das alleine kann aber noch keinen Green Deal abbilden, hat doch dieser Begriff eine, von seinen Erfindern durchaus beabsichtigte, Konnotation zu Roosevelts New Deal.
New Deal meint umgangssprachlich die Neuverteilung der Karten. In Roosevels New Deal wurde dies durch eine enge Verbindung von wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen erwirkt. Wir meinen, dass wir heute insbesondere die Vernetzungen zwischen Staat, seinen Bürgern und der Wirtschaft neu denken und strukturieren müssen. Dabei ist insbesondere die Frage zu lösen, wie wir die in der Zivilgesellschaft gespeicherte Energie in Form von Finanzmitteln aus Sparguthaben und in Form von persönlichem, bürgerlichen Engagement dauerhaft aktivieren.
Hemmnisse sind vielleicht in der sinkenden Loyalität der Menschen zum Staat als allheilende Kraft zu finden. So liegen mittlerweile Politiker im Vertrauensranking auf den hintersten Rängen. Nur 19 Prozent vertrauen Politikern voll und ganz. In Rostock musste erst ein ausländischer Bürger aus Dänemark mit überwältigender Mehrheit zum Oberbürgermeister gewählt werden, um dem städtischen Handeln die Prämisse „Gestalten statt Verwalten“ zu verordnen. Und so bleibt das, was die Bürger Europas verlangen weiter ungelöst. Nämlich die disruptive Energie der Nachhaltigkeit zu kanalisieren, kreativ Ideen zu entwickeln und diese auch nutzbar zu machen – zusammengefasst Wirtschaft endlich auch aus dem ethisch-moralischen Blickwinkel neu zu denken.
Statt länger auf den Staat zu warten, könnte es aber einen wirklichen Kraftschluss aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Finanzwelt geben, für die der Staat konsequent neue und innovative Rahmenbedingungen schaffen sollte. Dieser Kraftschluss ist durch neue Institutionen herzustellen. Institutionen nach neuem Zuschnitt: Bottom-up, bürgernah, beweglich und transparent sowie horizontal organisiert und durch die Leitlinien der Politik befördert statt gehemmt. Ganz, wie die damals frisch gewählte Kanzlerin Angela Merkel in Ihrer Regierungserklärung im November 2005 sagte: „Mehr Freiheit wagen!“. Dafür muss aber auch gelten: „Mehr Freiheit denken können!“ Und zwar eine verantwortungsvolle Freiheit.
Damit ist die Finanzindustrie ebenso angesprochen wie die Lehre. Auch wenn dies bedeutet, eingefahrene Gewinne der Vergangenheit, so schmerzlich dies zusätzlich zu überbordenden Regulierungsaufwänden ist, überwiegend für Neues aufzuwenden. Doch ein solch neues Denken ist oft noch in weiter Ferne.
„Das hat seine Kernursache darin, dass an den Universitäten der Manager- Nachwuchs bestenfalls für das Bewältigen allfälliger Krisen ausgebildet wird, meistens aber nur für das Lösen von Problemen im akademischen Elfenbeinturm“, sagt Professorin Dr. Silja Graupe von der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues, die sich explizit als Hochschule für Gesellschaftsgestaltung versteht.
„Was völlig fehlt, ist die Befähigung, eine offene und unvorhersehbare Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten“, so Graupe weiter. „Stattdessen wird hauptsächlich abstraktes Wissen gelehrt; das Lösen lebenswirklicher Probleme, das Überschreiten disziplinärer Grenzen, die Vermittlung eines reflektierten Denkens und die Vermittlung ethischer Fähigkeiten fehlen weitestgehend – Genau das aber wäre die Grundvoraussetzung dafür, verantwortungsvolle Gestaltungskraft zu wecken.“
Die von Graupe mitgegründete, neue Hochschule zeigt, dass dies auch anders möglich ist und etwa die Themen Ökonomie, Nachhaltigkeit und Gesellschaftsgestaltung im Studium sinnvoll miteinander verbunden werden können. Das ist ein erster Lösungsansatz. Ein weiterer wäre die bereits von uns angeregte Bank für Stiftung, die genau diesen Kraftschluss des transformativen Kapitals zwischen dem Green Deal der EU, der gemeinnützigen Sphäre und dem Investitionswillen der Bürger herstellt.
Neben dem großen Rad der Politik, das sicher mit vorteilhaften Leitlinien eine solche Entwicklung fördern kann und auch muss, müssen die Marktteilnehmer selbst etwas anpacken. Die Entscheidung ob dies Bottom-up oder Top-down besser gelingt ist Nebensache. Vielleicht bildet sich ein Regelkreis von Planung, Durchführung und Evaluation heraus, welchen man zur Evolution, Innovation und Invention nutzbar machen kann. Dabei muss die Tatsache der Neuordnung für alle Beteiligten einen Nutzen erbringen: Gute, dauerhaft ausgelegte, nützliche Finanzprodukte müssen etwas kosten. Berater müssen für eine gute Beratung Honorar erhalten. Das bedeutet aber auch, dass wir sehr gute Berater auch sehr gut entlohnen müssen. Das Märchen der kostenlosen Finanz- und Bankberatung müssen wir endlich und endgültig beerdigen.
„Ist Ihnen Nachhaltigkeit bei Ihrer Kapitalanlage wichtig?“ Diese bloße, durch die Regulatorik vorgeschriebene Beraterfrage schafft an sich noch keinen Mehrwert. Die Tatsache, dass Rechtsanwälte, Steuerberater, Ärzte, Architekten und weitere nach standesrechtlichen Gebührenordnungen und Hebesätzen abrechnen, ist schmerzlich akzeptierter Konsens. Die umfassende, nachhaltigkeitsorientierte, zertifizierte und interessenskonfliktfreie Geldberatung sollten wir zukünftig ähnlich strukturieren. Denn dort, wo Akteure verantwortungsvoll Gewinne machen, können und werden Lösungen entstehen. Und dies ohne gleich wieder neue Probleme zu schaffen, so viel hat die Volkswirtschaftslehre bewiesen.
Dieser Gastbeitrag ist erschienen am 20. Januar 2020 im Private Banking Magazin
Manchmal überholen die Realitäten die Redaktionen: zwei Tage nach dem Einreichen unseres Gastbeitrages veröffentlichte Blackrock-CEO Larry Fink einen offenen Brief an die CEO’s der Unternehmen, in denen Blackrock investiert ist.